Antwort auf: [Juli Camp 2017] Lagerfeuerplatz

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Lesemottchen
Teilnehmer

Liebe Taaya,

erst einmal: Danke fürs Einstellen 🙂 So viel Mut hätte ich noch nicht. ^^ Wenn es für dich in Ordnung ist, schreibe ich mal meine Gedanken zu deinem Text auf.

Zunächst: Ich glaube, ich weiß, was die Mitglieder des anderen Forums meinten. Ich würde es vielleicht nur anders ausdrücken. Hast du schon mal diesen Satz gehört: „Nicht beschreiben, sondern zeigen“? Er ist eine der wichtigsten Richtlinien beim Schreiben und kann oft helfen, Geschriebenes mitreißender zu gestalten.

Ich nehme einmal deinen Prolog als Beispiel. Du beschreibst einen jungen (?) Mann, der immer schon Bücher geliebt hat und dass ihn diese Liebe sogar nachts wachhielt. Aber genau das ist es: Du beschreibst. Dadurch wirkt der Text auf mich erst mal recht distanziert, was ein wenig schade ist, da du eine sehr schöne Ausdrucksweise hast und ganz bestimmt noch viel mehr Emotionen damit erschaffen könntest. Weißt du, wie ich es anstellen würde? Ich würde nicht alle Nächte darstellen, sondern nur eine. Die erste Nacht, in der er den „Ruf des Buches“ hörte. Wie du es am Ende des ersten Kapitel getan hast. Das hat folgenden Vorteil: Der Leser wäre dann sofort bei dem Charakter, also in der Geschichte. Und nebenbei wirst du als Autor vermutlich auch eher eine Nähe zu Fianan (schöner Name übrigens, der mich allerdings anfangs glauben ließ, es handelte sich um eine Fantasy-Geschichte ^^) aufbauen. Zumindest geht es mir so. Im 1. Kapitel hast du genau das gemacht, was ich beim Prolog vermisst habe: Du hast nicht nur geschrieben, DASS er nicht schlafen kann. Du hast gezeigt, WIE die Nacht stattdessen für ihn verlaufen ist: Was fühlt er? Was genau hört er? Ist die Stimmung aufregend, wehmütig oder vielleicht auch ein bisschen beängstigend? Sowas ist wichtig. Verstehst du, wie ich es meine? Ich fürchte, ich bin manchmal nicht sonderlich gut im Erklären. ^^

In deinem ersten Kapitel geht es ähnlich weiter. Du erwähnst unter anderem, dass dein Protagonist Möbel besitzt, die zum Teil aus Büchern bestehen. Nehmen wir mal den improvisierten Stuhl. Ich würde ihn nicht einfach nur benennen. Ich würde meinen Charakter wahrscheinlich lesend im Zimmer sitzen lassen (oder betrachtet er ein gerade frisch gebundenes Buch?) – auf genau dieser Sitzgelegenheit, bei der ich dann anmerken würde, dass sie diese Besonderheit, teilweise aus Büchern zu bestehen, besitzt. Und nicht nur sie, sondern auch andere Einrichtungsgegenstände. Auch hier also wieder: zeig deinem Leser, wie dein Charakter lebt, wie er tickt. So lässt sich weitaus leichter eine emotionale Bindung aufbauen, als wenn ich lese: Da stand ein Stuhl, der so und so aussah. Das ist tatsächlich reine Info, die aber sonst nichts weiter zu deinem Text beiträgt und damit schnell verpufft, was ernorm traurig wäre. Die Idee ist nämlich super. Fege sie nicht selbst so unter den Teppich. ^^

Dann kommst du direkt zu Fianans Familie. Das kann man natürlich machen. Ich persönlich warte ganz gern ein bisschen, bevor ich mein „Beziehungs“-Pulver verschieße. 🙂 So weiß der Leser sofort: Aha, Eltern = ein bisschen realtitsfremde Eisklötze. Das muss natürlich nicht zwingend so sein und kann sich anhand von Erinnerungen, persönlichen Aufeinandertreffen mit ihrem Sohn usw. im Laufe der Geschichte noch ändern. Aber erst mal erwecken sie (auf mich) weder einen interessanten, noch einen sympathischen Eindruck. Und ich glaube irgendwie nicht, dass du das vorhattest, oder? Meine Idee wäre hier, Fianan auf seinem Stuhl sitzen und ins Grübeln kommen zu lassen – vielleicht weil gerade etwas Negatives passiert ist, vielleicht aber auch nur, weil es gerade regnet und ihm das Wetter tierisch auf den Keks geht. Er erinnert sich an seine Mutter und wie sie ihm die Möglichkeit schenkte, sich aus genau solchen trüben Situationen wegzuträumen. Übrigens bin ich bei seiner Mutter über eine Sache gestolpert: Du sagst im ersten Satz, sie wäre keine sonderlich herzliche Frau gewesen. Später jedoch liest sie ihrem Sohn aus einem Buch vor. Auch wenn ich meine zu wissen, wie du es meinst, will das irgendwie für mich nicht passen. Zumindest nicht ihrem eigenen Kind gegenüber. Aber das nur am Rande. 🙂

Übrigens: Beziehungen sind wichtige Pfeiler für deine Handlung, verrate daher auf den ersten Seiten vielleicht nicht zu gleich viel, da du damit ungewollt schon einen Teil der Spannung vorwegnehmen könntest.

Ansonsten kann ich dir nur raten, auf Wortwiederholungen zu achten. Beispiel aus dem Text von oben:

Immer mit der Nase in einem Buch, als wolle er gar kein Teil der wirklichen Welt sein. Das war es also. Er war ein Gefangener der Buchwelt, genau wie seine Eltern. Die wahre Welt hatte ihn tiefer hineingedrängt und bald hatte er nicht mehr richtig hinausgefunden. Hatte sich hier auch wohler gefühlt. Natürlich war die Welt, in der er nun lebte, nur fiktiv, und doch erschien diese ihm so viel wirklicher, so viel besser und lebendiger. Und da begann er, seine Eltern zu verstehen. Wer brauchte schon diese echte Welt, diese ständige Kleinkriege, wer das letzte Stück des Kuchens bekam, wer besser für einen Job qualifiziert war, oder wer die schöneren Schuhe zu einer Hochzeit trug?

Siehst du das? In den wenigen Sätzen kam das Wort „Welt“ ziemlich häufig vor. Darüber stolperst du als Leser.

Auch kurze bzw. unvollständige Sätze (Ellipsen) sollten nicht zu häufig verwendet werden. Das machen wir umgangssprachlich enorm gern und übertragen das häufig auch in unsere Texte. Das ist auch in der Regel kein Prolbem, sollte aber sparsam verwendet werden. 🙂

So … ich glaube, ich bin fertig. Du jetzt aber hoffentlich nicht mit mir. >.< Ich weiß, dass das nach viel Gemecker aussieht, aber so ist es keinesfalls gemeint. Im Gegenteil. Du hast schon eine recht flüssige Art des Erzählens drauf. Und ich bin mir sicher, dass du den Text oben noch besser hinbekommen kannst. Nur ist der Anfang leider immer schwer. Ich bewundere jedenfalls diejenigen, die locker-flockig die ersten Sätze ihrer Geschichten hinbekommen. Ich sitze darüber ewig …

Ich bin schon sehr gespannt, was die anderen sagen und wünsche dir weiterhin viel Spaß beim Schreiben deiner Geschichte, die sicher noch sehr spannend werden kann. 🙂