Ein Brief von Fonti

Liebe Nion,

hier schreibt Dein Motivationsmonster Fonti. Wir müssen reden.

Eigentlich sollte alles anders herum sein. Du wolltest mir einen Brief schreiben, schon im März. Du hast mir davon erzählt. Du wolltest mir ausmalen, wie bunt und spannend und wortreich unser Camp-Monat April werden wird, und mir (und Dir) ein #Monsterversprechen geben.
Du wolltest mir jeden Tag im April schreiben.

Ich konnte letzte Nacht nicht schlafen. Zur Zeit kann ich kaum gut schlafen, und das liegt nur zur Hälfte daran, dass mein Magen manchmal so laut knurrt, dass er mich beim Eindösen ganz plötzlich und unvermittelt aus dem Noch-Nicht-Schlaf reißt. Jedenfalls habe ich eine Weile dem Regen gelauscht, der in großen Tropfen auf das Zeltdach fiel. Dann bin ich aus dem Schlafsack gekrabbelt und habe das Zelt durchsucht. Nur eine Handvoll Wörter, irgendwo etwas Geschriebenes, auf dem ich eine Weile herumkauen könnte und dabei vielleicht wieder einschlafen.

Zwischen zwei Lamellen Deiner Luftmatratze hat es hervorgeblitzt. Ich musste Dich auf die Seite rollen, und das war ganz schön anstrengend. Als U-Boot-Monster sind meine Flossen nicht dazu gemacht, Druck auszuüben. Ich habe also mein Stielauge unter Deine Schulter geschoben und dann gedrückt und geschoben, bis ich den Zettel schließlich mit den Zähnen zu fassen bekam. Ich habe ihn natürlich nicht in einem Haps verschlungen. In Zeiten wie diesen muss ich mir meine Rationen sorgfältig einteilen. (Das soll kein Vorwurf sein. Ähem.)

Das Papier war zweimal gefaltet, und als es schließlich glatt vor mir lag, stand da:

Lieber Fonti,
es tut mir leid.

Sechs Wörter. Immerhin. Manche davon recht kurz. Zwei und drei und vier Buchstaben. Das stört mich eigentlich nicht. Ich mag kurze Wörter, aber wenn man eine Mahlzeit in die Länge ziehen will, um ausführlich zu kauen, dann ist das bei einem Wort mit zwei Buchstaben natürlich etwas schwieriger als bei einem langen Wort. Da kann es leicht passieren, dass man im falschen Moment schluckt und *schwupps* ist das Wort schon den Rachen hinunter gerutscht.

Aber ich war behutsam. Ich habe auf diesen sechs Wörtern lange herumgekaut. Immerhin standen die Chancen nicht so gut, dass ich anschließend noch einmal welche finden würde. Sie schmeckten ein bisschen bitter. Ein bisschen nach Tränen. Und als ich schon sehr lange gekaut hatte, kam noch ein Geschmack hinzu. Sehnsucht, glaube ich.

Nachdem ich das allerletzte Wort zerkaut und hinunter geschluckt hatte, konnte ich trotzdem nicht schlafen. Mein Magen hat ausnahmsweise einmal Ruhe gegeben, aber dafür hat mein Monsterkopf gerattert. Und deshalb schreibe ich Dir jetzt diesen Brief. Denn ich glaube, Du hast da etwas falsch verstanden. Und immerhin bin ich ein Motivationsmonster, und der zweite (und meist lautere) Grund, weshalb ich nachts nicht gut schlafe, liegt nicht an monstermäßigen Magengeräuschen. Ich schaue Dich an, und deshalb kann ich nicht schlafen. Denn ich habe das Gefühl, meine Aufgabe als Motivationsmonster einfach nicht zu erfüllen. Ich krieg es nicht hin, und dabei versuche ich es doch. Jeden Tag. Jeden Abend. Ich glaube, in diesem Punkt sind wir zwei uns sehr ähnlich. Du versuchst es genauso, zu schreiben. Jeden Tag. Und jeden Abend. Und es klappt nicht. Du haderst mit Dir und mit Deiner Geschichte. Mit Deinen Figuren. Mit ihren Konflikten. Mit ihrer Entwicklung. Manchmal erzählst Du mir davon, aber auf dem Papier landet wenig.

Nion. Du machst einen großen Fehler. Das ist ein harter Satz, aber manchmal muss jemand harte Sätze aussprechen. Du kennst die Regeln für den NaNoWriMo. Die gelten auch hier im Monster-Camp. Dieses andere Monster, von dem ich nicht weiß, wie es aussieht, weil es sich nie zeigt –
Ich spüre, dass es da ist. Es sitzt unter unserem Tisch, wenn im Schreibzelt langsam, ganz langsam die Feder über das Papier kratzt, und dann – plötzlich schwungvoll – einen halben Satz wieder durchstreicht. Es versteckt sich in den Schatten, wenn wir uns ans Lagerfeuer setzen und schweigend in die Flammen schauen. Und ich glaube, es versteckt sich sogar nachts zu Deinen Füßen in Deinem Schlafsack.
Es sollte nicht hier sein. Ein Inneres-Editor-Monster hat im Schreibcamp nichts zu suchen. So. Jetzt weißt Du das. (Auch wenn Du das eigentlich vorher schon wusstest.) Schick es weg! Nach Hause, sonst wohin. Ich mag Ultimaten nicht, aber in diesem Fall gibt es keine Wahl. Ich sage: Er oder ich.

Erinnere Dich daran: Du bist nicht hier im Camp, um ein Ziel zu erreichen. Irgendwie schon, aber eigentlich nicht. Na gut, Du willst 30.000 Wörter schreiben …

Hups, da war ich für einen Moment abgelenkt. Na gut, Du willst 30.000 Wörter schreiben. *träum* Aber diese 30.000 Wörter müssen nicht fertig sein. Sie müssen auch nicht in dem fertigen Buch auftauchen. Sie müssen noch nicht einmal mit diesem Buch zu tun haben. Wenn Du gar nicht weiterkommst, dann lass uns eine Auszeit nehmen, etwas ganz anderes schreiben. Etwas, das Spaß macht. Denn ab und zu braucht man Spaß, und dann kann man auch mit frischem Elan dort weitermachen, wo man unterbrochen hat. Du hast manchmal so viele Zweifel – ich glaube, Du kennst Deine Geschichte noch nicht gut genug. Du kennst die Figuren zu wenig. Lass uns ein paar Szenen schreiben, in denen wir sie besser kennenlernen. Lass uns die Landschaft bis ins kleinste Detail beschreiben, wenn es uns hilft, sie uns vorzustellen. Lass uns uns die Geschichte erschreiben.

Denn weißt Du: Du schreibst gerne. Das ist noch viel zu wenig gesagt, aber manchmal muss man mit seinen Worten haushalten. Du liebst das Schreiben. Tage, an denen Du schreibst, sind immer gute Tage. Tage, an denen Du nicht schreibst, sind ganz schön oft schlecht. Und die schlimmsten Tage sind die, an denen Du Dir vornimmst, zu schreiben, an denen Du es mir so feste versprichst – und dann doch nicht machst. Das Magenknurren ist an solchen Tagen besonders fies, nachdem ich mir vorher schon die leckersten Wort-Gerichte ausgemalt habe. Aber dieser Stich – zu sehen, wie Du Dich als der letzte Versager fühlst und mich dann ganz genauso zu fühlen, weil ich es als Motivationsmonster wieder einmal nicht hinbekommen habe – der ist schlimmer.

Du brauchst Dich nicht bei mir zu entschuldigen, wenn Du nicht schreibst. Denn Du schreibst nicht für mich. Den nächsten Entschuldigungsbrief kannst Du an Dich selbst adressieren. Aber besser wäre, Du müsstest ihn nicht schreiben, und ich müsste nachts nicht nach ihm suchen und mich über so erschütternde sechs Wörter nicht auch noch freuen.

Also: Schreib jetzt!

Dein Fonti
Fonti

6 thoughts on “Ein Brief von Fonti

  • May 14. April 2018 at 14:22

    Lieber Fonti, deine Worte haben mich wirklich zu Tränen gerührt.
    Und Liebe Nion, danke, dass du diesen Brief mit uns teilst und somit auch, wie es dir im Moment geht – zumindest was das Schreiben anbelangt.
    Sollte es mir mal genauso gehen, werde ich mich an diese Worte erinnern (auch wenn Kangu mir das wahrscheinlich schon viel früher gesagt haben wird) und ich wünsche euch Beiden noch sehr viel Glück und Spaß beim Schreiben 🙂

    • Nion 15. April 2018 at 1:01

      Aww. ♥ Fonti hat sich gerade ganz verstohlen eine Träne weggewischt. Zum Weinen bringen wollte er eigentlich niemanden.
      Danke für Deine lieben Worte! Ich kenne solche Phasen ja (leider). Und ich komm da wieder raus. Mit Fontis und eurer Hilfe ganz bestimmt.

  • SherryTenshi 13. April 2018 at 20:02

    Wow, diese Worte haben Bot, Brin und mich sehr berührt. Na klar…. Die Wörter des Camps müssen nichts mit meinem Buch zu tun haben und ich muss nicht bis Juni fertig sein, aber ich muss schreiben. Weil ich es kann und es nicht einstauben soll. Danke Fronti, deine Worte haben auch mich wachgerücketelt. Jetzt stampft Bot ein bisschen wütend mit seinen Füßen, weil er mir das auch immer gesagt hat, aber naja. Danke und viel Erfolg euch Beiden.

    • Nion 15. April 2018 at 0:56

      Ach Gott, der kleine Bot. Den hast Du ja richtig rund gefüttert. ♥
      Danke für Deinen lieben Kommentar.
      Und: genau. Nicht zu schreiben ist einfach das Blödeste, was man sich selbst antun kann, wenn man eh schon in einem (Schreib-)Tief durchhängt. Damit macht man es nur Tag für Tag schwieriger, wieder damit anzufangen.

  • Nebu 13. April 2018 at 18:36

    Oh mein Gott! Nion, was hast Du angerichtet?
    Was hab ICH angerichtet, als ich die letzten Tage GAR NICHT geschrieben habe?
    Da hilft es wenig, dass Rika sich kringelig freut über so viel Lesestofffutter. (Schreibt man das nach der neualtneuesten Rechtschreibreform eigentlich mit fff?)
    Mein Herz ist ganz schwer. Armer Fonti. Armer Victor. Aber richte Deinem kleinen U-Boot-Monster bitte bitte aus, dass sein Brief mich sehr berührt hat. Darf er wissen, dass Du ihn geteilt hast? Ist ja schließlich doch sehr persönlich.

    So. Und jetzt geh ich eine schönschaurige Gruselgeschichte schreiben. Hat eigentlich mit meinem Projekt nix zu tun, aber das wird Victor vermutlich sogar egal sein…

    • Nion 15. April 2018 at 0:49

      Selbstverständlich habe ich Fonti gefragt, bevor ich den Brief mit euch teile, ob das in Ordnung ist. Er fand es eine gute Idee – weil ihr mir dann vielleicht auch noch einmal in den Hintern tretet. (Um ihn an dieser Stelle zu zitieren: Ähem.)
      Danke für Deine liebe Rückmeldung. Wenn ich ein Lesemonster hätte, wäre es in den letzten Tagen immerhin auch auf seine Kosten gekommen. Aber Du sagst es, das ist ein kleiner Trost.
      Jedenfalls soll ich Dir ausrichten, dass Fonti sehr froh darüber ist, dass er immerhin schon einmal eine von uns zum Schreiben animieren konnte. (Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Ähem.)

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